Das Kreuz mit dem Komma

Einigermaßen irritiert stand ich kürzlich vor dem Werbeplakat einer Institution, die ich wegen ihres Anliegens eigentlich sehr schätze. Ästhetisch sehr ansprechend gestaltet, zierte das Plakat der Satz: „Werden wir jemals lernen, zu gehen?“ Mir stellte sich die Frage, wer diesen Satz so geschrieben, wie viele Menschen ihn gelesen und wer ihn letztendlich freigegeben hat. Und warum niemandem aufgefallen ist, dass hier ein Beistrich steht, der definitiv nicht hingehört. (Konkret kann oder – in vielen Fällen – muss ein Beistrich vor einer Nennformgruppe stehen. „Zu lernen“ ist zwar eine Nennform, aber von Gruppe ist keine Spur.)

Die Beistrichsetzung ist für viele Menschen ein Kapitel, mit dem sie sich nicht auseinandersetzen wollen, weil es den Ruf hat, fürchterlich kompliziert zu sein. Das stimmt nicht. Es gibt einige wenige Regeln, die man mit ein bisschen Übung relativ rasch automatisieren kann. Doch wer kennt nicht die Tendenz, bestimmte Themen von sich fernzuhalten? Ich rufe etwa bei den einfachsten technischen Problemen sofort einmal um Hilfe, bevor ich selbst versuche, sie zu lösen. Wenn ich Texte zur Korrektur oder zum Lektorat erhalte, so betreffen die meisten Ausbesserungen die Zeichensetzung. Dafür gibt es schließlich Anbieter wie wortbildung.

Wenn jedoch professionelle Schreiber und Schreiberinnen die einfachsten Regeln nicht berücksichtigen, stellt sich die Frage nach dem Umgang mit Sprache an sich. In Zeiten, in denen Deutschkenntnisse auch ein Politikum geworden sind, wäre es wünschenswert, in Publikationen, auf Plakaten und anderen öffentlichen Texten eine gewisse Sorgfalt walten zu lassen. Der Anspruch, dass etwas Geschriebenes nicht nur originell und ansprechend, sondern einfach nur richtig sein sollte, ist wohl nicht zu hoch gesteckt.

Denken und Sprache

Sprache und Denken sind eng miteinander verbunden. Das merkt man besonders, wenn man Fremdsprachen lernt, die nicht in Europa gesprochen werden. Vieles, was für uns in der Sprachstruktur selbstverständlich ist, wird dadurch infrage gestellt. Beispiel Japanisch: Die Grammatik ist relativ einfach, doch es stehen ganz andere Aspekte im Vordergrund: Einerseits können durch Endungen am Verb unterschiedlichste Gedanken ausgedrückt werden, andererseits spielen  Höflichkeitsformen eine große Rolle, die sogar die Verwendung spezieller Worte mit einschließt. Dazu kommen natürlich die Schriftzeichen, die ein ganz anderes Gefühl für die Sprache vermitteln, indem es nicht nur Laut-, sondern auch reale Bilder für Begriffe gibt, die in Zusammensetzungen ganz neue Dimensionen eröffnen. Jedenfalls lassen sich diejenigen, die Japanisch lernen, auf eine ganz neue Denkweise ein.

Doch es braucht nicht eine Fremdsprache, um sich mit der Vielfalt von Sprache auseinanderzusetzen. Es ist durchaus interessant und kann Spaß machen, die eigene Muttersprache zu reflektieren, sei es von der Struktur oder von einzelnen Worten her. Auch hier gibt es viel zu entdecken. Beispiel: Zwar sind „bekommen“ und „kriegen“ synonym verwendbar, aber bedeuten sie tatsächlich das Gleiche?

Des Jägers wilde Bretter

Gleich vorweg: Nicht jeder Mensch muss perfekt in der Rechtschreibung sein. Das gilt insbesondere beim Schreiben von unüblichen Wörter, die im täglichen Sprachgebraucht nicht verankert sind. Erstaunlich jedoch ist die Nachlässigkeit, auf die man immer wieder bei Werbetafeln, Slogans oder Produktbeschreibungen trifft: Zwar sieht man ihnen ein teures Design an, doch an die Rechtschreibung dürfte kein Gedanke verschwendet worden sein.

Ein schönes Beispiel ist das vor kurzem entdeckte „Wildbrett“, das nicht von einer Tischlerei, sondern offensichtlich von einem Lebensmittelanbieter als Hauptprodukt beworben wird. Oder die „Souvenir’s“, die mit viel Liebe gemalt auf einer Fassade prangen. In beiden Fällen wäre es doch ein Einfaches gewesen, vorab jemanden zu Rate zu ziehen, wenn man sich der eigenen Schwäche in Bezug auf Rechtschreibung bewusst ist. So liegt der Schluss nahe, dass kein Bewusstsein für richtiges Schreiben gegeben ist – oder aber, dass davon ausgegangen wird, dass sowieso niemand den Fehler bemerken oder sich daran stoßen würde. Jedenfalls spricht die Präsentation eine deutliche Sprache – und sagt vielleicht mehr über die ErstellerInnen aus, als ihnen lieb ist.