Das Kreuz mit dem Komma

Einigermaßen irritiert stand ich kürzlich vor dem Werbeplakat einer Institution, die ich wegen ihres Anliegens eigentlich sehr schätze. Ästhetisch sehr ansprechend gestaltet, zierte das Plakat der Satz: „Werden wir jemals lernen, zu gehen?“ Mir stellte sich die Frage, wer diesen Satz so geschrieben, wie viele Menschen ihn gelesen und wer ihn letztendlich freigegeben hat. Und warum niemandem aufgefallen ist, dass hier ein Beistrich steht, der definitiv nicht hingehört. (Konkret kann oder – in vielen Fällen – muss ein Beistrich vor einer Nennformgruppe stehen. „Zu lernen“ ist zwar eine Nennform, aber von Gruppe ist keine Spur.)

Die Beistrichsetzung ist für viele Menschen ein Kapitel, mit dem sie sich nicht auseinandersetzen wollen, weil es den Ruf hat, fürchterlich kompliziert zu sein. Das stimmt nicht. Es gibt einige wenige Regeln, die man mit ein bisschen Übung relativ rasch automatisieren kann. Doch wer kennt nicht die Tendenz, bestimmte Themen von sich fernzuhalten? Ich rufe etwa bei den einfachsten technischen Problemen sofort einmal um Hilfe, bevor ich selbst versuche, sie zu lösen. Wenn ich Texte zur Korrektur oder zum Lektorat erhalte, so betreffen die meisten Ausbesserungen die Zeichensetzung. Dafür gibt es schließlich Anbieter wie wortbildung.

Wenn jedoch professionelle Schreiber und Schreiberinnen die einfachsten Regeln nicht berücksichtigen, stellt sich die Frage nach dem Umgang mit Sprache an sich. In Zeiten, in denen Deutschkenntnisse auch ein Politikum geworden sind, wäre es wünschenswert, in Publikationen, auf Plakaten und anderen öffentlichen Texten eine gewisse Sorgfalt walten zu lassen. Der Anspruch, dass etwas Geschriebenes nicht nur originell und ansprechend, sondern einfach nur richtig sein sollte, ist wohl nicht zu hoch gesteckt.

Modeworte, Wortmoden

Letztens erzählte mir eine Freundin, dass das Motto der Faschingsparty ihrer Tochter in der Volksschule  „Nachhaltigkeit“ laute. Hätte es in meiner Jugend ein Motto für Kostümierungen gegeben, hätte dieses wohl „Märchenland“ oder „Piratenschiff“ gelautet. Das Thema dieser Klasse hingegen brachte meine Freundin auf „Apfel“ oder „Lokomitive“, mich auf „Pfandflasche“. Die wichtigere Frage jedoch ist, was die siebenjährigen Kinder darunter verstehen bzw. wie ihnen der Begriff erkärt wird.

Woran denken Sie bei Nachhaltigkeit? Mir fallen ähnliche Begriffe ein, die laufend verwendet werden, die jeder „irgendwie“ versteht, die jedoch auf Nachfrage einigermaßen vage bleiben: Ökologisierung etwa oder Hipster. Selbst „Digitalisierung“ kann sehr viel bedeuten, unterschiedliche Hoffnungen und Ängste wecken und sich auf unterschiedlichste Maßnahmen beziehen. Worte wie „Migration“ hingegen werden inzwischen relativ undifferenziert verwendet und bewusst in einen bestimmten Kontext gesetzt. Anüsant bis befremdlich ist es, wenn dann Diskussionen zu einem dieser Themen stattfinden, das jeder anders versteht.

Woher kommt diese Ungenauigkeit? Schlagworte sind in Mode, werden von Politikern und Politikerinnen ebenso transportiert wie von Medien und Meinungsbildnern und -bildnerinnen. Zurzeit ist etwa der Klimawandel in aller Munde. Zwar haben wir alle – im besten Fall ein wissenschaftlich fundiertes – Wissen dazu, dennoch wundert es nicht, wenn Maßnahmen gegeneinander ausgespielt werden oder in Gesprächen immer wieder Ratlosigkeit übrig bleibt, weil sich hinter dem Schlagwort so viele Informationen stehen, dass es eine viel differenziertere Betrachtung und Benennung bräuchte. Doch das passiert erstaunlicherweise selten. Oder lässt sich das Phänomen mit unserer schnelllebigen Zeit erklären, in der wenig Platz für eine tiefer gehende und bewusstere Auseinandersetzung fehlt?

Jedenfalls hoffe ich, dass die Lehrerin der Tochter meiner Freundin den Begriff „Nachhaltigkeit“ altersadäquat vermitteln wird. Und nicht weniger hoffe ich, dass es dem Kind erspart bleiben wird, sich als Apfel oder Flasche kostümieren zu  müssen.

Denken und Sprache

Sprache und Denken sind eng miteinander verbunden. Das merkt man besonders, wenn man Fremdsprachen lernt, die nicht in Europa gesprochen werden. Vieles, was für uns in der Sprachstruktur selbstverständlich ist, wird dadurch infrage gestellt. Beispiel Japanisch: Die Grammatik ist relativ einfach, doch es stehen ganz andere Aspekte im Vordergrund: Einerseits können durch Endungen am Verb unterschiedlichste Gedanken ausgedrückt werden, andererseits spielen  Höflichkeitsformen eine große Rolle, die sogar die Verwendung spezieller Worte mit einschließt. Dazu kommen natürlich die Schriftzeichen, die ein ganz anderes Gefühl für die Sprache vermitteln, indem es nicht nur Laut-, sondern auch reale Bilder für Begriffe gibt, die in Zusammensetzungen ganz neue Dimensionen eröffnen. Jedenfalls lassen sich diejenigen, die Japanisch lernen, auf eine ganz neue Denkweise ein.

Doch es braucht nicht eine Fremdsprache, um sich mit der Vielfalt von Sprache auseinanderzusetzen. Es ist durchaus interessant und kann Spaß machen, die eigene Muttersprache zu reflektieren, sei es von der Struktur oder von einzelnen Worten her. Auch hier gibt es viel zu entdecken. Beispiel: Zwar sind „bekommen“ und „kriegen“ synonym verwendbar, aber bedeuten sie tatsächlich das Gleiche?